endlich das merkur-heft von märz ange­gan­gen. wie so oft ste­ht das beste am anfang: ein text von jan philipp reemts­ma, das schein­prob­lem wil­lens­frei­heit. ein plä­doy­er für das ende ein­er über­flüs­si­gen debat­te. denn reemts­ma gelingt — mit zunächst erstaunlich geringem, sehr schnell aber bewun­dernd beobachtet ökonomis­chen ein­satz von gehirn­schmalz und argu­men­ta­tion, die von den neu­rolo­gen (um wolf singer und kon­sorten) angezettelte debat­te um die neu­rol­o­gis­che vorbes­tim­mung aller men­schlichen entschei­dun­gen und die damit ange­blich ein­herge­hende unmöglichkeit des kon­struk­tes, der idee ein­er per­son­alen, sub­jek­tiv­en, ich-gebun­de­nen wil­lens­frei­heit, — ja man muss sagen, abzuschmettern und mit eini­gen ver­nich­t­end genau platzierten schlä­gen auf den boden zu schick­en. wenn ich das richtig ver­standen habe, geht die argu­men­ta­tion unge­fähr so: zunächst muss man natür­lich erst mal klarstellen, was wil­lens­frei­heit ist — näm­lich die unter­stel­lung, „men­schen hät­ten auch anders han­deln kön­nen, als sie es getan haben”. das impliziert ja ger­ade die idee der ver­want­wor­tung des sub­jek­tes für seine entschei­dun­gen und v.a. tat­en, und entsprechend seine schuld­fähigkeit. der entschei­dende schritt, der reemts­ma von den schein­bar philosophis­chen argu­menten der neu­ro­bi­olo­gen tren­nt, ist nun fol­gen­der: „nichts spricht gegen die annahme, daß solche phänomene [d.h. entschei­dun­gen, gedanken, stim­mungen etc.] als hirn­vorgänge in einem neu­ro­bi­ol­o­gis­chen respek­tive bio­chemis­chen vok­ab­u­lar voll­ständig beschrieben wer­den kön­nen. nichts spricht für die annahme, daß mit der möglichkeit ein­er solchen beschrei­bung ein vok­ab­u­lar der moralis­chen oder eines der ästhetis­chen oder eines der juris­tis­chen beschrei­bung solchen ver­hal­tens über­flüs­sig würde.” und vor allem dann: „eben­sowenig spricht dafür, daß die let­zt­ge­nan­nten vok­ab­u­lar­ien das wesentliche an diesen phänome­nen erfaßten, woge­gen die ersteren nur die ‘materielle erschei­n­ungs­form’.” par­al­lel dazu weist reemts­ma natür­lich auch das kausal­ität­sar­gu­ment zurück — das lässt sich ja durch ein­fachen regress ad adsur­bum führen: „wenn alles vom urk­nall an wie eine gut gebaute lin­ie domi­nos­teine durch die jahrmil­lio­nen klap­pert, dann ist auch die art und weise, wie ernst jemand dies als argu­ment nimmt, eben­so deter­miniert wie das vor­brin­gen des argu­ments selb­st. dann ist das für-läp­pisch-hal­ten dieses argu­ments bei eini­gen eben­so notwendig deter­miniert wie das vor­brin­gen des argu­ments selb­st.” der näch­ste schritt ist nun, das libet-exper­i­ment als argu­ment für einen neu­rol­o­gis­chen deter­min­is­mus zurück­zuweisen. denn das exper­i­ment sagt ja bei genauer betra­ch­tung nur aus, dass „das bere­itschaftspo­ten­tial entste­ht, bevor die ver­suchsper­son der empfind­ung, einen entschluß gefaßt zu haben, aus­druck ver­lei­ht.” das entschei­dende hier­bei ist näm­lich, nicht aus den augen zu ver­lieren, dass „wir niemals jene momente des bewußten über­gangs, des schwanken zwis­chen mehreren möglichkeit­en” ein­er entschei­dung über­haupt erleben. der wichtige schritt von den neu­ro­bi­ol­o­gis­chen vorgän­gen zu den gedanken schafft näm­lich die neu­ro­bi­olo­gie offen­bar noch nicht, da ist noch eine — entschei­dende — lücke. wie reemts­ma nun aber zeigen kann, muss singer die „vorstel­lung eines sub­jek­tes ‘hin­ter’ den neu­ronalen prozessen, das sich ihrer gle­ich­sam bedi­ent” über­haupt erst etablieren, um es dann ach so wirkungsvoll abwehren zu kön­nen. und die ursache dieser argu­men­ta­tiv­en mis­ere sieht reemts­ma in der man­gel­haften philosophis­chen bil­dung singers. denn: „das kuriose dabei ist, daß in dieser weise ambi­tion­ierte akademik­er den anspruch der philoso­phie zunächst ernst nehmen müssen, um ihn dann vehe­ment bestre­it­en zu kön­nen.” „denn die unken­nt­nis der philosophis­chen tra­di­tion ist ja bei diesen tex­ten oft mit hän­den zu greifen.” und aus all dem fol­gt schießlich ganz unauf­dringlich: „die mod­erne hirn­forschung zeigt uns, wie wir im laufe unseres lebens zu dem wer­den, was wir sind. … wenn wir unter ‘frei­heit’ ver­ste­hen wür­den, daß men­schen han­del­ten, als hät­ten sie einge­baute zufalls­gen­er­a­toren, wür­den wir die frei­heit nicht schätzen” — „die bedeu­tung von ‘wil­lens­frei­heit’ ist niemals die unter­stel­lung, jemand könne oder solle han­deln, als wäre er nicht er selb­st oder jemand anderes.” frei­heit meint also — das ist nicht über­raschend — autonomie: „frei­heit heißt nicht han­deln, als wäre ich nicht ich selb­st, son­dern anders han­deln zu kön­nen als jemand anderes.” und dann ist die ganze neu­ro­bi­olo­gie und ihr deter­min­is­mus doch ziem­lich belan­g­los: „was tut es hinzu, zu erwäh­nen, daß dies ‘wollen’, ‘die entschei­dung’, wie immer wir es nen­nen, im gehirn stat­tfind­et? … was tut es hinzu, daß sich dies ‘wollen’, ‘die entschei­dung’, wie immer wir es nen­nen, als eine abfolge neu­ronaler prozesse beschreiben läßt? nichts.” genau, das ist es!

reemts­ma ergänzt das ganze dann noch um einige anmerkun­gen zum prob­lem der moralis­chen (und rechtlichen) ver­ant­wor­tung, der schuld — fra­gen, die ja die neu­ro­bi­olo­gen auch gerne aufw­er­fen. auch hier beste­ht reemts­ma natür­lich auf die weit­er­hin gültige voraus­set­zung der wil­lens­frei­heit: „daß jemand gehan­delt hat, wie er gehan­delt hat, beweist natür­lich über­haupt nicht, daß er nicht anders han­deln kon­nte, son­dern allein, daß er nicht anders han­deln wollte.” –> „wer meint, die neu­ro­bi­olo­gie könne das strafrecht auf ein ganz anderes wis­senschaftlich­es fun­da­ment stellen, hat das funk­tion­ieren mod­ern­er gesellschaften nicht ver­standen. denn das strafrecht ruht auf über­haupt keinem wis­senschaftlichen (oder philosophis­chen) fun­da­ment, son­dern beruht auf den unter­schei­dun­gen, die sein spez­i­fis­ches vok­ab­u­lar erlaubt, in der welt zu tre­f­fen.” und damit wäre das jet­zt auch endlich mal gek­lärt.