gestern abend gehört — im auf­trag, frei­willig wäre es nicht ganz mein ding gewe­sen: arturo san­doval group im frank­furter hof mainz.

das ist die offizielle fas­sung meines bericht­es:

kurz vor acht herrscht auf der bühne des frank­furter hofs noch reges treiben. da wird noch fleißig geschraubt, instru­mente aus­gerichtet, kabel ver­legt und mikros getestet: die frisch aus ali­cante einge­flo­gene arturo san­doval group ist noch gar nicht so richtig in mainz angekom­men. doch dann geht es schlag auf schlag: die musik­er nehmen die bühne in besitz und das pub­likum gle­ich noch dazu. so langsam kon­sti­tu­iert sich im ersten rit­uellen rundgang von the­ma und soli ein­mal quer durch die band auch der sound. natür­lich sticht arturo san­doval in der anson­sten sehr jung beset­zten gruppe beson­ders her­vor: er knallt, qui­etscht, presst, stöh­nt und wirbelt die töne aus sein­er trompete nur so her­vor. nicht ganz zufäl­lig ist er den ganzen abend das unange­focht­ene zen­trum nicht nur der bühne, son­dern des gesamten geschehens: bei ihm laufen alle fäden zusam­men, er greift immer wieder ein und gibt anweisun­gen. und er ist außer­dem eine band in der band: er spielt nicht nur trompete, son­dern auch schlag­w­erk und sog­ar der pianist muss ihm zeitweise weichen.

es scheint fast so, als verfin­ge er sich dabei selb­st immer wieder im gestrüpp sein­er musik: was zunächst wie unkon­trol­liert­er wild­wuchs wirkt, ent­pup­pt sich beim genaueren hin­hören aber immer als minu­tiös geplante und sorgsam kul­tivierte berech­nung – hier hat der zufall kein platz, selb­st der spon­tane ein­fall muss schw­er ums über­leben kämpfen. doch die arrange­ments zeigen immer wieder uner­wartetes: ger­ade noch mit­ten im kuban­is­chen pow­er-groove, stößt san­doval einen schrei in die trompete und alles ver­wan­delt sich jäh: mit einem schlag baut er eine vol­lkom­men neue szener­ie, aus dem hek­tis­chen par­tygeschehen wech­selt er unver­mutet an den strand ein­er roman­tis­chen voll­mond­nacht und beobachtet ein ver­liebtes pärchen. aber die ruhe trügt schon wieder: nicht lange, und die näch­ste par­ty nähert sich bere­its –für diese mal zieht sie noch vorüber, aber doch nicht ganz ohne effekt: der funke ist überge­sprun­gen, ganz langsam und zunächst noch unmerk­lich zieht es jet­zt alle doch wieder zum tanzen – wo san­doval unweiger­lich mit sein­er strahlen­den trompete und seinen uner­müdlichen mit­spiel­ern schon wartet. das per­fekt chore­o­gra­phierte auf und ab der musik sind ein­fach seine stärke – was eben noch ein blue­siges klavier­so­lo war, wird ruck­zuck zu ein­er groove-attacke, nur um wenige herz­schläge später erneut zum blues zu mutieren. und dabei lassen alle musik­er ihrer pro­fil­neu­rose freien lauf. das wäre unerträglich, käme dabei nicht so kraftvolle musik her­aus, die schlechter stim­mung ein­fach keine chance lässt.

und das die inof­fizielle (aber wahre) ergänzung:

frei­heit ist hier nicht wirk­lich möglich. auch wenn sie so tun, als wür­den sie impro­visieren. denn in dem fortwähren­den mäan­dern ist dafür kein platz: sich­er, da scheint alles vorhan­den zu sein – viele schleifen, uner­wartete biegun­gen, strom­schnellen, wasser­fälle, beschauliche strände – mal als gemütlich­er wiesen­fluss, meist aber als reißen­des wild­wass­er. aber es ist immer nur das da, was san­doval sehen und hören will. und auch wenn er das auss­chweifende, ver­schnörkelte liebt – es muss schon nach seinem willen sich richt­en.

im grunde ist das aber mehr sport als musik – oder mehr porno als kun­st: höher, schneller, weit­er – nein, lauter – darum geht es hier. und arturo san­doval bleibt natür­lich immer, welche über­raschung, unange­focht­en­er cham­pi­on, dafür weiß er schon zu sor­gen. und das pub­likum scheint das unbe­wusst auch zu wis­sen – denn genau die sportlichen erfolge, die beson­ders hohen töne, die beson­ders schnellen läufe und wirbel, die beson­ders laut­en trom­melschläge wer­den am begeis­ter­sten bejubelt – nicht die außergewöhn­lich gelun­gene phrase, nicht dier passende aus­druckk. aber um so etwas geht es hier eben über­haupt nicht, das unter­läuft den musik­ern nur so neben­bei und offen­bar auch eher unge­wollt. kun­st ist das deshalb eigentlich nicht mehr, das ist nur noch öffentliche selb­st­be­friedi­gung von sechs machos – ob es wirk­lich zufall ist, dass solche grup­pen (auch die von arturo san­doval) fast immer auss­chließlich aus män­nern beste­hen?

auf jeden fall ist so etwas eine unge­heure anmaßung, im grunde eine unver­schämtheit gegenüber dem pub­likum: der zuhör­er wird hier ganz offen­sichtlich für dumm verkauft, er wird als kulisse für die selb­st­be­weihräucherung und selb­st­bestä­ti­gung der beteiligten musik­er (ja, ich bin der beste, ich kann am öftesten, ich hab’ den größten…) wie eine tapete, oder ein­fach wie eine ware, benutzt. von respekt ist da nichts, aber auch gar nichts zu spüren. ok, weit­er will ich mich darüber jet­zt nicht aufre­gen…